Expertenwissen: Trageberaterin Melanie Münsterer zum Thema Tragen.

Expertenwissen: Trageberaterin Melanie Münsterer zum Thema Tragen.

Ich habe die liebe Melanie von Mamamonkey,  eine zertifizierte Trageberaterin zum Thema Tragen interviewt. Das vollständige Interview zu diesem spannenden Thema könnt ihr hier lesen:

Liebe Melanie, kannst du uns zu Beginn erklären, warum das Tragen von Babys so wichtig ist?

Ich denke, man muss sich erstmal klar darüber werden, dass es kein Baby oder Kind gibt, das nicht getragen wird. Wir alle kennen das Bild von Eltern, die ein Kind auf dem einen Arm haben und mit dem anderen den leeren Kinderwagen schieben. Was ist das Erste, das ich mache, wenn mein Kind weint, müde ist, Trost braucht? Ich nehme es hoch, stelle Körperkontakt her, wippe auf und ab, ähnlich der Bewegung die beim Gehen entsteht, nicht?
Wir Menschen sind Traglinge. In unseren Genen ist es tief verankert getragen zu werden und unseren Nachwuchs zu tragen und wir machen es ständig - ganz intuitiv. Das Tragen von Babys und Kindern ist also keine neumodische Erscheinung, sondern etwas, was wir seit Jahrmillionen praktizieren, lange bevor es Kinderwägen gab. Warum ist das Tragen von Babys also wichtig? Es gehört zu uns, zum Alltag mit Kindern und jeder, der schon mal „Maaaamaaaa, Aaaaarm!“ im Ohr hatte, weiß wahrscheinlich wovon ich spreche.

Was sind aus deiner Sicht die größten Vorteile des Tragens für Eltern und Kind?

Wie gesagt, das Tragen ist fest in uns verankert. Da überrascht es nicht, dass es eine Menge positive Auswirkungen hat. Zum einen wird die Bindung zwischen Baby und Bezugsperson beim Tragen gestärkt, das Nervensystem angeregt und so die körperliche als auch emotionale Entwicklung unterstützt. Die Anhock-Spreiz-Haltung beim Tragen, kann sich zum Beispiel auch positiv auf die Hüftreifung auswirken.
Zudem sind wir physiologische Frühgeburten. Das heißt, dass Menschenkinder eigentlich noch etwas Zeit im Bauch der Mama bräuchten, aber aufgrund unseres aufrechten Gangs und dadurch schmaleren Beckens, früher auf die Welt kommen müssen. Ganz nah am Körper getragen, fest gehalten wie im Mutterleib und dabei den Herzschlag zu hören hilft einem Baby ungemein, in der Welt anzukommen. Das kann man auch daran erkennen, dass nach aktueller Studienlage viel und häufig getragene Babys weniger weinen und Themen wie Drei-Monats-Koliken in Urvölkern die fast ausschließlich tragen teilweise gänzlich unbekannt sind.

Der Vorteil daran, wenn man sich jetzt noch eine geeignete Tragehilfe oder ein Tuch dazu nimmt ist, dass man all das bekommt und dabei auch noch die Hände frei hat. Das gibt den Eltern, beziehungsweise Bezugspersonen halt echt nochmal ein großes Stück Freiheit zurück und erleichtert den Alltag ungemein.
Außerdem ist es für das nicht gebärende Elternteil eine wunderschöne Möglichkeit nach der Geburt zu entlasten und eine tiefe und innige Bindung zum Baby aufzubauen.

Beim Tragen kann man viel weniger falsch machen, als man anfangs denkt. Dennoch gibt es einige Punkte, die man zwingend beachten sollte, um das Tragen sicher und ergonomisch zu gestalten:

Für die Hüftentwicklung und einen ergonomischen und bequemen Halt ist die Anhock-Spreiz- Haltung maßgeblich. Wir kennen diese Haltung von Neugeborenen. Die ziehen automatisch ihre Beinchen an, wenn sie hochgenommen werden. Eine korrekte Anhock-Spreiz-Haltung erkennt man daran, dass die Knie höher als der Po sind. Von vorne betrachtet, sieht es dann aus wie ein M, das die Beinchen gemeinsam mit dem Po bilden. Ein Kind sollte grundsätzlich aufrecht und gut gestützt in Tuch oder Tragehilfe sitzen. Das kann man am besten überprüfen, in dem man sich nach vorne lehnt. Das Baby sollte dann immer noch Bauch an Bauch mit der tragenden Person sein und den Kontakt nicht verlieren.

Am wichtigsten ist darauf zu achten, dass die Atemwege frei bleiben. Das erreicht man, wenn man das Gesicht des Babys während des Tragens sehen kann und dies nicht von Tuchstoff, Schals oder ähnlichem bedeckt wird. Auch bei Personen mit großer Oberweite muss man darauf achten, dass das Baby mit der Nase bzw. dem Gesicht nicht im Dekoletté verschwindet.

Hast du eine Lieblingstragehilfe? Und wenn ja, warum?

Tragen ist sehr individuell und es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten die jeweils zu ganz verschiedenen Menschen passen. Ein echter Allrounder ist aber das gewebte Tuch. Das passt sich jeder Körperform an, es gibt ganz viele unterschiedliche Bindeweisen und kann notfalls als Decke, Wickelunterlage, Schaukel usw. zweckentfremdet werden. Gewebte Tücher leiern nicht aus und halten bei guter Pflege jahrelang. Außerdem braucht man keine Schnallen oder Gurte aus Plastik bzw. Nylon. Ich finde, das macht es auch unter dem Aspekt Nachhaltigkeit und Umwelt unschlagbar.

Welche Fehler begegnen dir beim Tragen im Tuch in deinem Trageberaterin-Alltag
am häufigsten? Gibt es da typische Fehler?

Mir begegnen oft Tücher, die zu locker gebunden sind. Das ist besonders häufig bei
elastischen Tüchern der Fall, da diese durch die Körperwärme nochmal zusätzlich nachgeben und sehr eng gebunden, bzw. nochmal nachgestrafft werden müssen, damit sie einen guten und sicheren Job machen. Bei gewebten Tüchern sieht man öfter, dass einzelne Teilbereiche des Tuchs, z.B. die Kopfkante zu locker sind. Hier kann man mit den richtigen Handgriffen aber schnell Abhilfe schaffen.
Manchmal passt die Bindeweise auch nicht zum Tuch. Ein elastisches Tuch muss zum Beispiel dreilagig gebunden werden um ausreichend Halt zu bieten, wohingegen ein gewebtes mit nur einer Lage auskommt.

Können auch Frühgeborene getragen werden?

Natürlich und sie sollten auch! Bereits ab ca. 1800 g kann man schon die Allerkleinsten in einem gewebten Tuch mit einer passenden Bindeweise tragen. Das Tragen erleichtert den Babys ihren eh schon herausfordernden Start ungemein. Zum Beispiel nehmen getragene Frühchen schneller zu, weil sie nicht zusätzlich Energie aufwenden müssen, um ihre Körpertemperatur zu regulieren. Das ist nur ein positiver Aspekt von vielen am Tragen von Frühchen.

Welche Bindeweisen empfiehlst du für Neugeborene, welche für größere Kinder?

Es gibt unendlich viele verschiedene Bindeweisen bei denen sicher für jeden Geschmack etwas dabei ist. Eine Faustregel, die man dabei im Auge behalten sollte ist jedoch, dass neugeborene Babys nicht zu viel Druck auf den Rücken bekommen sollten. Da eignen sich zum Beispiel einlagige Bindeweise besser als mehrlagige. Wenn die Kinder größer und schwerer werden, macht es auf jeden Fall Sinn, spätestens dann auf den Rücken zu wechseln. Das ginge im gewebten Tuch aber sogar auch schon ab Geburt. Du siehst, das Thema Tragen ist sehr individuell und es kommt viel auf die Situation und das Tragepaar an. Ich persönlich binde privat zum Beispiel am liebsten am Bauch das Känguru und auf dem Rücken den Double Hammock.

Welchen Rat würdest du Eltern geben, die neu im Tragen sind?

Ich bin der Meinung es ist wichtig gelassen an das Thema heranzugehen. Wenn man die bereits erwähnten Grundregeln beachtet, kann man viel weniger falsch machen, als man denkt. Das Binden mit Tuch ist mit etwas Übung eine ganz wundervolle Möglichkeit dem Kind Nähe zu geben und gleichzeitig seinen Alltag zu erleichtern. Und wenn es mal wo hakt, gibt es ja auch noch uns Trageberaterinnen, wir helfen gerne mit einer passenden Bindeweise oder dem nötigen Handgriff nach, damit jedes Tragepaar zu einem guten Ergebnis und tollem Trageerlebnis kommt.

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Was sagt eigentlich eine Osteopathin und Physioterapeutin zum Thema Tragen?

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